Plastiken von François du Plessis.
Ist François du Plessis ein bibliophiler Mensch? Die Frage mag verwundern, schon seit Jahren sind Bücher aber auch Zeitschriften der Grundstoff für sein künstlerisches Werk. Doch sie steht: Ist François du Plessis ein bibliophiler Mensch? – Wir werden sie am Ende noch einmal stellen und dann, hoffentlich, beantworten können.
François du Plessis’ Umgang mit dem Buch ist, alles in allem, kein harmloser. Er ist viel mehr auf eine sehr solide, fast abstrakte Art und Weise körperlich und anfassbar. In seinen Objekten geht es um nichts weniger, als um die Gewinnung einer neuen Form, es geht nicht um die Replik eines Textes, nicht um die Illustration eines Gedankens darin, es geht um Plastik, um ein Bild in drei Dimensionen. So entstehen unregelmäßige, ausgefranste, früher geweißte, heute auch gerne naturbelassene Reliefs, Rundbilder, Kuben, kleines wildes Buchgetier oder turmhohe, sich um sich selbst windende Stelen. Sie zählen nicht zu den so genannten Künstlerbüchern. Jenen Malerbüchern, Kladden und Tugendendwürfen, die entweder im gut gepflegten Gehege der lichten Verlagskultur erscheinen oder in den gleichsam verschatteten Winkeln des Eigendrucks.
Diesen Werken sieht man an, dass der Prozess ihrer Entstehung rein gar nichts mit den politisierenden, verdichteten Verklärungen gemein hat, der jene anderen umhaucht, aus denen sich der Zeitgeist nährt, große Ideen oder, zuzeiten autoritärer Machthaberei, sogar Widerstand ablesen ließe, und von denen einer wie Biermann nur sagt, es seien „dissidentische Trophäen“ (i).
Für die Wirklichkeit dieser Objekte, ihr Sein, ist der Inhalt der eingesetzten Bücher nicht wichtig. Nicht der Gedanke, nicht das Wort sind hier das Material, so wie es für den gedankenklaubenden Heiner Müller galt, sondern das Papier, der gebundene Leib aus vielleicht ein paar hundert Seiten; wichtig ist der Stoff, ist die Stofflichkeit (im körperlichen Sinne), die den Text trägt und wie der sich verhält gegenüber Kräften und Farbe.
Für seine Buchobjekte löst François du Plessis die originalen Bücher auf. Ihr Wert für ihn steckt nicht hinter geschlossen Buchdeckeln. Einband und Seiten, der Körper, das ist das Material, das dann neu zusammengeführt und mit Schrauben zusammengehalten wird, um als gigantische Reminiszenz an eine Baumscheibe, als sprechender (sic!) Turm zu Babel oder neuerdings als listiges Buchreptil wiederzuerstehen. Die hierfür waltenden Kräfte sind enorm. Dort, wo die Schrauben durch Einband und Papier gehen, ist alles dicht, kein Spalt bleibt frei.
Dafür klaffen an anderen Stellen Untiefen, führen kleine Gänge in Räume, und geben den Blick frei auf die Vergangenheit, auf Buchstabenreihen und Satzzeichen und Einbandfarben.
Die dunklen Stellen geben der Masse Struktur, Schatten werfen sich auf. Das Objekt kommt optisch in Bewegung. Es wirkt lebendig. Diese undurchlässigen Schichtungen und zufälligen Verwerfungen im Gefüge sind umso bedeutender, als sie den Betrachter noch weiter weg führen vom Ursprung, also vom Buch. Sie erst sind es, die aus dem Ausgangsstoff etwas völlig neues, ein eigenständiges, assoziatives Kunstwerk werden zu lassen.
So entstehen Plastiken. Originäre, unikate Figuren, kompakt, sinnlich, verspielt, niemals belehrend aber immer neu, immer überraschend anders.
Kommen wir noch einmal zurück zu unserer eingangs formulierten Frage: Ist François du Plessis ein bibliophiler Mensch? Ja, ich glaube ja. Denn „Bibliophilie ist zwar Liebe zu Büchern, aber nicht unbedingt wegen ihres Inhalts“ (ii). Schließlich erzählen diese Buch-Objekte ihre eigene Geschichte – Book Stories meint nicht die Geschichten im Buch, sondern die, die davon erzählen, was aus den Büchern geworden ist. Faszinierende neue Materialwesen.
Stefan Skowron
Aachen, im April 2011
i. Wolf Biermann, Ein öffentliches Geschwür, in: DER SPIEGEL 3/1992, 13.01.1992.
ii. Umberto Eco, Die Kunst des Bücherliebens, Carl Hanser Verlag München 2009, S. 32.